Werner Hahlweg
Dass die Wellen eines ins Wasser
geworfenen Steines manchmal lange Zeit benötigen, um ans Ufer zu
schlagen, verdeutlicht die Personalie Werner Hahlweg
(1912-1989). Der von vielen als "Nestor der
Clausewitz-Forschung" betrachtete Militärhistoriker hat offenbar
bis an sein Lebensende über seine Verstrickungen in der NS-Zeit
geschwiegen. Nun prüft die zuständige Bundesbehörde, ob der seit
1992 verliehene und nach ihm benannte
Werner-Hahlweg-Preis
weiter seinen Namen tragen darf. Doch zurück zum Anfang: Wie der
Stein ins Wasser kam. Im Zusammenhang mit meiner Magisterarbeit
befasste ich mich auch mit Werner Hahlweg, da er an der Berliner
Universität sowohl promovierte (1936) als auch habilitiert
(1940) und 1942 zum Dozenten für Geschichte ernannt wurde.
Während dies auch den späteren offiziellen Darstellungen seines
Lebenslaufes zu entnehmen war [1],
verlor Hahlweg später offenbar kein Wort darüber, dass er
bereits während seines Studiums Mitglied des
Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes geworden war
sowie 1933 in die SS und 1936 in die NSDAP eintrat. Ebenso
schwieg er über ein "Kommando in den besetzten Gebieten" als im
Heereswaffenamt tätiger Offizier [2].
Diese und weitere Erkenntnisse über den Lebensweg Hahlwegs bis
1945 entnahm ich den Akten des Universitätsarchivs der
Humboldt-Universität zu Berlin und veröffentlichte sie - soweit
ich sehe, damals erstmals - in meiner Magisterarbeit [3].
Nun verwundert es nicht, dass eine Abschlussarbeit im
vordigitalen Zeitalter kaum weitere öffentliche Beachtung fand.
Der Stein wirft Wellen. Seit etwa
2007 stelle ich einen Auszug aus meiner
Magisterarbeit mit den
wichtigsten Informationen zu
Werner Hahlweg (wie auch
über andere Dozenten und Professoren des Historischen Seminars)
auf meiner Website zur Lektüre zur
Verfügung. Im Juni 2012 griff das Portal "German
Foreign Policy" offenbar als erstes die von mir recherchierten
Erkenntnisse auf und publizierte aus Anlass der erneut
anstehenden Verleihung des Werner-Hahlweg-Preises einen längeren
Artikel über Hahlweg, der diesen und vor allem die Namensgebung
des Preises kritisch hinterfragte [4].
Kurz darauf berichtete das Online-Magazin "Telepolis" aus dem
Heise-Verlag in ähnlicher Stoßrichtung und in Bezugnahme auf
meine Magisterarbeit über Hahlweg und den von ihm gestifteten
Preis [5].
Vor diesem Hintergrund sendete das RBB-Magazin "Kontraste" am
29. November 2012 einen Beitrag zur "Unseligen Traditionspflege
bei der Bundeswehr", dessen zweiter Teil sich inhaltlich mit der
Person Werner Hahlwegs im "Dritten Reich" befasste. Die
Historiker Detlef Bald und Johannes Tuchel sprachen sich in der
Fernsehsendung unter anderem mit Blick auf die für sie neuen
Erkenntnisse über die Mitgliedschaften Hahlwegs in SS und NSDAP
dafür aus, den Preis nicht länger im Namen Werner Hahlwegs zu
verleihen [6].
Die Wellen schlagen ans Ufer. Auf
Anfrage der "Kontraste"-Redaktion erklärte das dem
Bundesverteidigungsministerium unterstehende Bundesamt für
Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr, das den Werner-Hahlweg-Preis
offiziell verleiht, dass es den Auftrag erteilt habe, "die Vita
Werner Hahlwegs einer umfassenden Prüfung zu unterziehen, ob an
der Stiftung und Namensgebung festgehalten werden kann" [7].
Am 12. Dezember 2012 stellte die Bundestagsfraktion "Die Linke"
eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung (Drucksache
17/11915), in der sie unter den Punkten 19 und 20 mit Verweis
auf den auf meiner Homepage veröffentlichten Auszug aus meiner
Magisterarbeit zu Werner Hahlweg fragt:
"19. Wer war dafür verantwortlich,
dass Anfang der 1990er-Jahre durch das Bundesamt für Ausrüstung,
Informationstechnik und Nutzung ein nach Werner Hahlweg (seit
1933 SS-, seit 1936 NSDAP-Mitglied, ab 1942 Geschichtsdozent in
Berlin, vgl. www.renebetker.de/pdf/werner_hahlweg.pdf) benannter
Preis verliehen wurde? a) Wann werden die Ergebnisse der
Überprüfung, ob an der Hahlweg-Stiftung und Namensgebung
festgehalten werden kann, vorliegen, bzw. welche Ergebnisse hat
die Überprüfung erbracht? b) Wie erklärt sich die
Bundesregierung, dass seitens der Bundeswehr angesichts des
Lebenslaufs von Werner Hahlweg, insbesondere seiner
Mitgliedschaft in der SS (ab 1933) sowie der NSDAP (seit 1936)
sowie seiner Rolle als Geschichtsdozent (seit 1942) keine
Einwände gegen die Namensgebung erfolgt waren, und inwieweit
sieht sie die damit dokumentierte Bereitschaft, freiwillige
SS-Mitglieder zu würdigen, als ein gravierendes Problem für die
Bundeswehr an?
20. Inwieweit nimmt die
Bundesregierung den Prüfvorgang in Sachen Werner Hahlweg zum
Anlass, andere in ihrem Verantwortungsbereich verliehene Preise
zu prüfen? Welche dieser Preise tragen die Namen von
Personen, die sich nach Kenntnis der Bundesregierung für die
NS-Herrschaft eingesetzt bzw. diese unterstützt haben?" [8]
Die Bundesregierung anwortete am 30. Januar 2013
(Drucksache
17/12171) wie folgt:
(Zu 19.) "Der Werner-Hahlweg-Preis für
Militärgeschichte und Wehrwissenschaften (heutige Bezeichnung:
Werner-Hahlweg-Preis für Militärgeschichte und
Militärtechnikgeschichte) geht auf den seinerzeit einzigen
Lehrstuhlinhaber in der Bundesrepublik Deutschland für
Militärgeschichte und Wehrwissenschaften an der Westfälischen
Wilhelms-Universität in Münster, Prof. Dr. Werner Hahlweg (1912
bis 1989), zurück. Werner Hahlweg pflegte seit Ende der
70er-Jahre Kontakt zur Wehrtechnischen Studiensammlung (WTS) des
Bundesamtes für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB), da er die
Interdependenz der Militärtechnik mit Strategie, Taktik,
Ökonomie und Politik in den Mittelpunkt seiner Lehrtätigkeit
stellte. Da er keine direkten Nachkommen hatte, vermachte er
sein gesamtes Vermögen, einschließlich seiner Sammlungen dem
BWB. Ein entsprechender notarieller Erbvertrag wurde mit der
Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das BWB, am 6.
Oktober 1988 geschlossen. Hierin wurde geregelt, dass die
Bundesrepublik Deutschland aus den Erträgen des Nachlasses von
Werner Hahlweg alle zwei Jahre einen "Werner-Hahlweg-Preis" für
die jeweils beste militärhistorisch/-technische Arbeit aus
diesem Bewertungszeitraum vergibt. Zum damaligen Zeitpunkt lagen
Hinweise auf eine etwaige NS-Belastung von Werner Hahlweg der
Leitung des früheren BWB, den damaligen Mitgliedern des
Wissenschaftlichen Beirates und den agierenden Personen bei der
Annahme und Etablierung des Preises nicht vor.
Nach Bekanntwerden der Vorhalte gegen
Werner Hahlweg wurde eine entsprechende Untersuchung
eingeleitet. Diese Untersuchung, an der auch das
Militärgeschichtliche Forschungsamt (seit 1. Januar 2013 Zentrum
für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr)
beteiligt ist, dauert an."
(Zu 20.) "Die Bundeswehr hat die Berichterstattung zu
Werner Hahlweg zum Anlass genommen, bestehende Bestpreise einer
Prüfung zu unterziehen. Es wurde festgestellt, dass in den
militärischen Ausbildungseinrichtungen der Bundeswehr eine Reihe
von Preisen für Bestleistungen verliehen werden. Darunter
befinden sich Preise, die nach General Fellgiebel (Angehöriger
des militärischen Widerstands gegen Hitler), General Heusinger
und Admiral Johannesson benannt wurden. Die beiden
Letztgenannten haben sich um den Aufbau der Bundeswehr in
besonderer Weise verdient gemacht."
[9]
Mittlerweile hat sich das
Bundesverteidigungsministerium entschieden, den früheren
"Werner-Hahlweg-Preis" aufgrund der Mitgliedschaften Hahlwegs in
NSDAP und SS nicht mehr zu verleihen. Seit
2017 werden militärgeschichtliche Arbeiten mit dem "Förderpreis
für Militärgeschichte und Militärtechnikgeschichte"
ausgezeichnet. Die Hintergründe der Entscheidung erläutert der Historiker Sönke Neitzel in einem Interview.
[10]
Fußnoten
|
1 Als
Beispiele: Dermont Bradley, Professor Dr.
Werner Hahlweg, in: Militärgeschichte, Militärwissenschaft und
Konfliktforschung. Eine Festschrift für Werner Hahlweg, hrsg. v.
ders. und Ulrich Marwedel, Osnabrück 1977, S. 1-7; ders.
u.a., Lebensabriss, in: Werner Hahlweg, Das Kriegswesen
der Stadt Danzig. I. Die Grundzüge der Danziger Wehrverfassung
1454-1793, Osnabrück 1982 [Nachdruck der Dissertation Werner
Hahlwegs aus dem Jahr 1937], S. IX-XIII.
2 Siehe den Artikel vom 5. Dezember 2012 in
der "MünsterlandZeitung.de", die berichtet, dass ein jüngst vorlegter
Untersuchungsbericht über die Geschichte der Universität Münster
zwischen 1920 und 1960 über Hahlwegs Verstrickungen in der
NS-Zeit nichts vermerkt, obwohl dieser hier seit 1950 bis zu
seiner Emeritierung Ende der 1970er Jahre lehrte:
Hans-Ulrich Thamer/Daniel Droste/Sabine Happ (Hg.), Die
Universität Münster im Nationalsozialismus. Kontinuitäten und
Brüche zwischen 1920 und 1960, 2 Bde., Münster 2012. So
konnte die Historikerin Katja Fausser,
die im obigen Werk über das Historische Seminar der Universität
Münster arbeitete, in den dortigen Universtätsakten nach eigener
Aussage keine Hinweise dazu finden: Dies., "Das Institut zu
neuem Leben erweckt"? Entwicklungen am Historischen Seminar
1920-1960, in: ebd., S. 647-688; siehe auch Fußnote
49 auf
Historiographie im "Dritten Reich".
Allerdings
bin ich ein wenig überrascht, dass Fausser nicht zum Beispiel über
eine Internetsuchmaschine auf den Auszug aus meiner
Magisterarbeit über Werner Hahlweg stieß, der ja von mir bereits
weit vor 2010/11 online gestellt worden ist.
3
René Betker, Das Historische Seminar der Berliner
Universität im "Dritten Reich", unter besonderer
Berücksichtigung der ordentlichen Professoren, Magisterarbeit
Technische Universität Berlin 1997, S. 132ff.; Auszüge
hier.
Im Jahr 1937 war
Hahlweg daneben an der Erarbeitung der Propaganda-ausstellung "Das
politische Danzig" beteiligt. Der gleichnamige, ebenfalls 1937
erschienene
Dokumentenband
hierzu ist auf der Homepage der, von der Technischen Universität
Danzig (Politechnika Gdańska) betreuten, "Pomorska Digitale
Bibliothek" online einsehbar. Mittlerweile greift auch der Artikel über Werner Hahlweg in der
deutschsprachigen
Wikipedia u.a. auf meine Magisterarbeit zurück.
Dort ist jüngst allerdings eine hitzige
Diskussion
unter mehreren Wikipedia-Autoren über
die wissenschaftlich angemessene Art und Weise der Darstellung
von Hahlwegs Vita zu vermerken. So ist der ihn betreffende
Wikipedia-Artikel
allein im Monat Februar 2014 über 50 Mal geändert worden. In den
Jahren 2015 und 2016 hat hier dann eine gewisse Normalisierung
und Beruhigung dieses "Änderungswettlaufs" stattgefunden, der
allerdings Ende Dezember 2016 noch einmal Fahrt aufnahm, mit mehrfachen "Aktualisierungen" an nur
einem Tag. Seit 2018 scheint hier nun aber endgültig (?) Ruhe
eingekehrt zu sein.
4 Artikel
auf
"German Foreign Policy" vom 18. Juni 2012. Irrtümlich wird
hier die Humboldt-Universität zu Berlin (HU) statt der
Technischen Universität Berlin (TU) genannt.
5 Artikel
"Die Altlasten der Bundeswehr" von Thorsten Stegemann in "Telepolis"
vom 21. Juni 2012.
6
Fernsehbeitrag "Unselige Tradtionspflege bei der Bundeswehr" in
der RBB-Sendung "Kontraste"
vom 29. November 2012. Die Journalisten verweisen zwar nicht
direkt auf meine Magisterarbeit als Ausgangspunkt ihrer
Recherchen. Auswahl der Dokumente und direkte Quellenzitate
lassen aber erkennen, dass sie sich auf meine Erkenntnisse von
1997 stützen.
7 Zum
Zitat siehe Fußnote
6. Im Januar
2013 erhielt ich denn auch eine Anfrage von der Bibliothek des
Zentrums für Militärgeschichte und
Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam zur Anschaffung eines Exemplars meiner
Magisterarbeit, der ich natürlich gern nachkam.
8 Kleine
Anfrage der Bundestagsfraktion "Die Linke" vom 12. Dezember 2012
mit dem Titel "Traditionslinien der Bundeswehr":
Bundestagsdrucksache 17/11915.
9 Antwort
der Bundesregierung vom 30. Januar 2013 auf die Kleine
Anfrage der Bundestagsfraktion "Die Linke" vom 12. Dezember 2012
mit dem Titel "Traditionslinien der Bundeswehr":
Bundestagsdrucksache 17/12171.
10
Wikipedia-Artikel
zum "Förderpreis für Militärgeschichte und
Militärtechnikgeschichte".
Interview mit Sönke Neitzel auf "Portal
Militärgeschichte" vom 5. Dezember
2016.
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